Wenn man am Abgrund steht

Heute gibt es mal wieder einen ernsteren Artikel.
Obwohl ich darum gebeten wurde, ihn nicht zu schreiben.
Ich schreibe ihn trotzdem, ohne dabei Rücksicht zu nehmen.
Warum? Weil ich muss.
Und weil ich keine Rücksicht mehr nehmen kann.

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Denn ich trage diesen Artikel schon seit mehreren Wochen mit mir rum, er blockiert mein Denken und schränkt mein Handeln ein und wirkt sich inzwischen auf so ziemlich jeden Bereich meins Lebens aus. Nicht nur auf die Arbeit hier auf den Schattenwegen, auch auf die Arbeit im Büro, den Umgang mit Freunden, Kollegen und Kunden, meine Schlafens- und Essensgewohnheiten. Kurzum: Die Gedanken zu diesem Artikel belasten mich, machen mich immer noch fertig und reißen mich zurück auf einen Boden, an dem ich nie wieder sein wollte.

Und deshalb muss ich diesen Artikel schreiben, und ich finde wirklich, dass ich nach fast zwei Monaten jedes Recht dazu habe, mich endlich frei zu schreiben. Auch wenn das, was ich hier schreibe, bestimmten Leuten nicht gefallen wird und vielleicht sogar eine Gefahrenquelle für jemanden ist. Darauf kann ich keine Rücksicht nehmen, und das tut mir auch nicht leid, denn ich muss auf mich Acht geben und das habe ich vor sieben bzw. acht Wochen nicht getan. Aber jetzt tue ich es, und dazu gehört nun mal auch dieser Artikel.

Vorab sollte ich euch vielleicht sagen, dass ich gerne für andere Menschen da bin und dass ich mich meistens lieber mit den Problemen und Sorgen anderer auseinander setze, als mich mit meinen eigenen zu beschäftigen und diese mit meiner Umgebung zu besprechen. Nicht weil es nicht inzwischen ein paar Menschen in meinem Leben gibt, denen ich bedingungslos vertraue und denen ich alles erzählen kann, sondern weil das einfach nach jahrelanger Erfahrung immer noch so in mir drin ist und ich mir jedes Mal wieder erst klarmachen muss, dass es okay ist, mit anderen über mich und meine Sorgen zu sprechen. Man kann gewisse Dinge aber nicht einfach so ablegen, weil es ein teilweise sehr schwerer Lernprozess ist – und weil ich immer noch lerne, obwohl ich sehr viel besser darin geworden bin, mich verbal mitzuteilen. Manchmal jedenfalls. Bei manchen Dingen habe ich nachwievor Schwierigkeiten damit, aber auch das ist okay, denn ich arbeite daran und bin dankbar für so manchen liebevollen Arschtritt, den dieser Lernprozess mit sich bringt.

Vor etwa zwei Monaten gab es nun zwei Situationen, in denen ich – wage ich zumindest zu behaupten – wieder einmal über mich hinaus gewachsen bin, was das Dasein für andere betrifft. Ich war da, als eine Person jemanden brauchte, auch wenn diese Person selbst das gar nicht verstanden und noch weniger eingesehen hat. Für mich stand zu beiden Zeitpunkten fest, dass ich so handele, wie ich gehandelt habe, und da gab es auch überhaupt keine Diskussionen. Menschen, die mich kennen, wissen, wie beharrlich sein kann, wenn ich von etwas überzeugt bin, und ich glaube, in diesen Momenten habe ich einige Leute überrascht und andere in dem bestätigt, was sie ohnehin schon von mir denken. In positiver Hinsicht.

ready-to-fallWas ich aber nicht bedacht hatte und was mich dann doch ziemlich geschockt und erschreckt hat, war die Tatsache, dass es mir danach richtig schlecht ging. In solchen Momenten denke ich als Letztes an mich, und ja, ich weiß, dass das falsch ist. Das wurde mir im Nachgang auch oft genug von verschiedenen Seelenfreunden unter die Nase gerieben, und doch weiß ich, dass ich wieder so handeln würde. Vielleicht nicht unbedingt wieder bei dieser Person, aber es gibt ja noch viele andere Menschen, die mir ans Herz gewachsen sind und mich auf vielen Wegen begleiten.

Jedenfalls stürzte ich ab, ohne Wenn und Aber. Mir war klar, dass ich mich übernommen und dabei mich selbst vergessen hatte. Doch anstatt mich einfach wieder dauerhaft in mein Bett zu verkriechen – was ich auch gemacht habe, aber dank einer Hamburger Band nicht allzu lange –, habe ich mich aktiv damit auseinander gesetzt. Viel nachgedacht, viel geschrieben und vor allem sehr schnell beschlossen, mich nicht länger runterziehen zu lassen. Ich habe lange Gespräche mit verschiedenen Menschen geführt und bin überall auf offene Ohren gestoßen. Das hat sehr geholfen, meinen Entschluss, den Kontakt zu dieser Person radikal zu reduzieren. Deshalb besteht eigentlich noch immer derzeit von meiner Seite aus überhaupt kein Kontakt, und ganz langsam wurde es dann besser.

Denn diese Person bewegt sich viel zu nah an einem schlimmen Abgrund und ich habe schnell verstanden, dass ich dieser Person nicht helfen kann, selbst als ich noch wollte. Menschen, die Hilfe brauchen, müssen danach fragen können. Und sie müssen sie annehmen können, wenn sie ihnen angeboten wird. Dabei müssen sie manchmal auch Menschen an sich heranlassen, die sie nicht an sich ranlassen wollen. Ärzte zum Beispiel, denn manchmal – wie auch in diesem Fall – hilft nur professionelle Unterstützung. Es braucht Zeit, den richtigen Arzt für sich zu finden, weil da natürlich auch Vertrauen eine Rolle spielt, aber wenn man sich von Vornherein einfach gegen alles nur sträubt, dann ist es keine Überraschung, dass es nicht besser wird und immer wieder zu Rückfällen und Abstürzen kommt. Ich habe das inzwischen, teils durch schmerzhafte Erfahrungen, begriffen, doch diese Person ist noch nicht so weit. Und wenn ich ehrlich bin, weiß ich nicht, ob sie jemals an diesem Punkt angelangt sein wird.

So oder so weiß ich aber, dass ich mich weitestgehend fernhalten werde. Denn ich stand selbst oft genug am Abgrund, um zu wissen: Diejenigen, die zuerst hinunterfallen, sind niemals die Menschen, die am Abgrund stehen, sondern diejenigen, die helfen wollen und es nicht können. Sie werden ebenfalls runtergerissen und in den wenigsten Fällen ist dann eine festhaltende Hand zur Stelle, um sie vor dem Fall ins Bodenlose zu bewahren. Ich hatte dieses Mal das Glück, dass da mehrere Hände waren, und ich bin froh, dass ich nach ihnen gegriffen habe.

Denn wer weiß, wo ich sonst heute stehen würde.


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5 Kommentare
  1. Kay sagt:

    Hallo Jess,

    ja, es ist nunmal leider so, dass sich so mancher nicht helfen lassen will…Da kommt man dann nicht weiter. Denk deshalb in erster Linie erstmal an dich!

    Liebe Grüße

    Kay

    • Schattenkämpferin sagt:

      Lieber Kay,

      man muss abwägen – manchmal ist der Grat zwischen „Wollen“ und „Nichtkönnen“ sehr, sehr schmal. Mein Problem ist, dass ich generell immer erst das Gute im Menschen suche und zu finden glaube. Dabei lege ich leider öfter mal lang. Aber ich stehe immer wieder auf und verliere den Glauben an das Gute nicht. Und das ist doch die Hauptsache, oder?

      Ich werde auf mich Acht geben. Versprochen.

      Sei fest umarmt,
      Jess

  2. Hallo Jess!

    Du hast einen sehr schönen Blog und schreibst toll. Dieses Posting gefällt mir mehr als gut und ich kann dich sehr gut verstehen. Manche Menschen möchten keine Hilfe. Aber es gibt auch Menschen, die Angst davor haben um Hilfe zu bitten. Sie fürchten sich davor, sich fallen lassen zu müssen oder enttäuscht zu werden. Es ist da nicht immer einfach, den Menschen dahinter zu erkennen. Aber aus Enttäuschungen lernen wir ja alle und Erfahrungen bringen uns im Leben weiter, auch wenn sie manchmal schmerzen.

    Ich wünsch dir alles Gute.

    Beste Grüße, Nicole

  3. kathamané sagt:

    Hi. Ich möchte dir mein Gedicht zeigen, zu dem ich das Foto deines Artikels verwendet habe. Ich hoffe du bist mir nicht böse und dass dir mein Gedicht gefällt. :)
    http://kathamane.com/2015/01/22/letzte-hoffnung/

    Einen schönen Tag und alles, alles Gute.

    Eine schreibende Kollegin

    • Schattenkämpferin sagt:

      Liebe kathamané,
      das ist ein tolles Gedicht, sehr atmosphärisch. Danke fürs Teilhabenlassen.
      Und natürlich ist es in Ordnung, dass Du das Foto verwendest – ich habe es ja selbst auch nur bei Google gefunden :)

      Viele sonnige Grüße aus aktuell Los Angeles!

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