Backstage: #MobbingVerjährtNicht

Auf Instagram findet heute ein Antimobbing-Flashmob unter dem Hashtag #MobbingVerjährtNicht statt, ins Leben gerufen von Jasmin Zipperling. Als mich letzten Monat die Mail mit der Anfrage erreichte, war schnell klar, dass ich daran teilnehmen würde. Teilnehmen musste. Verschiedene Fotoideen und Tausende Worte schwirrten mir im Kopf herum und heute stellte ich beim Posten-Wollen fest: Der Platz auf Instagram reicht schlicht und ergreifend nicht aus, um alles, was ich zu dem Thema zu sagen habe, loszuwerden.

Deshalb sitze ich jetzt am Laptop und schreibe zu später Stunde doch noch einen Artikel. Es ist Zeit für ein wenig Seelenstriptease – und nach sehr langer Zeit kommt von mir mal wieder ein waschechter Backstage-Artikel, der seinem Namen gerecht wird.

Mobbing hat viele Gesichter. Ich habe einige kennengelernt. Aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. War sehr wahrscheinlich selbst irgendwann mal Teil von Mobbing, wenn auch nur durch Wegschauen, Nicht-Eingreifen, Mitlachen. Nein, nicht wahrscheinlich, sondern definitiv. Damals, auf der Realschule, war ich keine gute Freundin. Ich hätte mich einsetzen sollen, mich dazwischen stellen sollen, den Mobbern die Stirn bieten sollen. Aber: Dann wäre ich selbst in die Schusslinie geraten. Wieder. Nachdem sie doch von mir gerade abgelassen hatten. Oder vielmehr eine Pause eingelegt und sich zwischenzeitlich ein anderes Opfer gesucht hatten.

Mobbing verjährt nicht!

Mobbing passiert überall. In der Schule, am Arbeitsplatz, in der Familie, auf offener Straße, im Freundes- und Bekanntenkreis. Manchmal unter dem Deckmantel von „liebevollen“ Neckereien, „lustigen“ Sprüchen, „spaßigen“ Spielchen. Manchmal „nur“ mit Worten, manchmal mit körperlichen Angriffen. Aber egal, in welcher Gestalt Mobbing auch daher kommt – es ist und bleibt ein Akt der Gewalt. Und die passiert nicht nur auf der körperlichen, sondern auch auf der psychischen Ebene. Da gibt es kein Besser oder Schlimmer – ja, Wunden heilen, blaue Flecken verblassen, ausgerissene Haare wachsen nach, Tränen trocknen – doch die Narben, die auf der Seele bleiben, bleiben für immer. Gewalt bleibt Gewalt.

Mobbing verjährt nicht!

Mobbing begleitet das Opfer für den Rest seines Lebens, auf die eine oder andere Art. Und jedes Opfer geht auf seine eigene Weise damit um. Manche setzen einen mentalen Haken dran und leben vermeintlich ohne Einschränkungen weiter. Andere entwickeln psychische Belastungsstörungen, haben täglich mit Triggern zu kämpfen, sind immerzu ängstlich und unsicher. Ob Therapien helfen, kann ich nicht sagen, ich habe diesbezüglich nie eine gemacht. In meinen Gesprächen mit der damaligen Arbeitspsychologin ging es um andere Themen. Aber wenn ich manche meiner heutigen Verhaltensweisen betrachte und meine Gedanken zu speziellen Dingen und Momenten genauer beleuchte, dann bin ich sicher, dass einiges davon durchaus seinen Ursprung in meiner Schulzeit hat.

Mobbing verjährt nicht!

Mobbing während der Schulzeit ist leider für viele kein unbekanntes Thema. Durch das Internet wird die Angriffsfläche des Einzelnen heutzutage noch vergrößert – Profile in den sozialen Medien, Gruppenchats der ganzen Klasse in verschiedenen Messengern und, teils anonyme, eMail-Adressen erleichtern die ungewollte Streuung von privaten und peinlichen Bildern, die Verbreitung von Gerüchten, die Enthüllung von Geheimnissen. Die Opfer sitzen an ihrem Ende des Internets, verzweifeln im Stillen, haben nicht selten Selbstmordgedanken. Und die Mobber? Haben in den allermeisten Fällen weder ein schlechtes Gewissen noch sind sie sich auch nur im Ansatz der Tragweite ihres Handelns bewusst.

Mobbing verjährt nicht!

Mobbing – nur eine Mitläuferschaft? Ja und nein. Es ist leicht, sich einer Gruppe anzuschließen, die das Sagen hat. Den Mobbenden zu unterstützen und ein Stück weit von seiner Stellung zu profitieren. Aber: Irgendjemand wirft immer den ersten Stein, stachelt die anderen an, bestimmt ein oder gar mehrere Opfer. Warum? Um sich selbst stärker zu fühlen? Um Aufmerksamkeit zu bekommen? Um sich vor anderen zu beweisen? Aus Langeweile? Die Liste von Gründen, zum Mobber zu werden, ist wahrscheinlich endlos lang. Aber ist sie auch so lang wie die Liste der Auswirkungen auf das Mobbing-Opfer?

Mobbing verjährt nicht!

Mobbingerfahrungen sind kein Thema, das man mal eben so bei einem Tee oder einem Bier in die Gesprächsrunde wirft. Es gehört eine Menge Vertrauen und noch mehr Mut dazu, ganz offen die Karten auf den Tisch zu legen und zu sagen: „Ich bin/war ein Mobbing-Opfer.“ Oder wäre der richtige Begriff „Mobbing-Überlebende/r“? Besonders schwierig wird es, wenn die Außenwelt das Mobbing nicht bemerkt. Denn die Mobbenden verstehen es hervorragend, ihre Aktionen zu verschleiern, während die Gemobbten mit jedem Tag mehr Übung darin bekommen, eine Maske aufzuziehen und sich nichts anmerken zu lassen. Und nur selten erlauben sie es, jemanden hinter die Maske blicken zu lassen.

Mobbing verjährt nicht!

Mobbing hat mich durch meine gesamte Schulzeit begleitet. Ich hatte stark mit Akne zu kämpfen, interessierte mich eher für Bücher als für MakeUp, konnte mir keine Markenklamotten leisten, schrieb Gedichte und Kurzgeschichten, führte Tagebuch, hatte immer gute Noten und ein Pausenbrot von Zuhause mitgebracht, statt mir eines am Schulkiosk zu holen. Vielleicht passte den anderen Schülern auch einfach meine (ziemlich große) Nase nicht. Keine Ahnung.

Mobbing verjährt nicht!

Die Gründe sind aber heute auch nicht mehr wichtig. Wichtig ist nur, dass mich die Erfahrungen von damals bis heute prägen. Angefangen bei dem Gefühl, nirgends wirklich dazu zu gehören oder gar (bewusst oder unbewusst) ausgegrenzt zu werden, über die ständige Angst, irgendwas falsch zu machen oder zu sagen, bis hin zu dem unangenehmen, flauen Bauchkribbeln, sobald in meiner Nähe irgendwo Leute tuscheln und ich nicht weiß, ob es vielleicht um mich geht und über mich hergezogen wird.

Mobbing verjährt nicht!

Mobbing verjährt nicht. Auch ich als inzwischen erwachsene Frau, die mit beiden Beinen fest im Leben steht, die Freunde hat, die einiges überlebt und noch mehr erreicht hat, die sich regelmäßig selbst in den Arsch treten muss und sich oft genug allein aus dunklen Phasen gekämpft, habe bis heute immer noch Momente, in denen meine Mobbingerfahrungen im Unterbewusstsein irgendetwas auslösen und mich in die damalige Zeit zurückversetzen. Die mich unsicher machen, in denen ich alles von mir Geleistete hinterfrage und anzweifle, die einfach ätzend sind.

Mobbing verjährt nicht!

Mobbing – was würdest Du als damaliges Opfer tun oder sagen, wenn Du Deinen Peinigern von früher heute begegnen würdest? Ganz ehrlich: Ich weiß es nicht. Eine Zeit lang, direkt nach der Schule und während der beiden Ausbildungen, habe ich die Leute von damals im Internet gesucht. Und ich muss gestehen, dass es mir Genugtuung verschafft hat, wenn ich gesehen habe, dass sie außerhalb ihrer Schulclique am Leben gescheitert sind. Hier ein Kind mit 16, da eine Scheidung mit 20, dort jemand ohne Ausbildungsplatz, und da hinten, die Schlimmste von allen, ohne festen Wohnsitz.

Mobbing verjährt nicht!

Mobbing ist heute eine Sache, gegen die ich mich einsetze, wenn ich so etwas mitbekomme. Zumindest versuche ich einzugreifen, wenn ich eine solche Situation zum Beispiel unter SchülerInnen sehe. Oder, ganz frisch gerade erst diese Woche geschehen, ich stehe für Gespräche zur Verfügung, die beim Aufräumen der Gedanken helfen und die mir die Chance geben, der betroffenen Person ein Ohr und eine Schulter anzubieten – und Tipps im weiteren Umgang. Da ich nur aus meiner eigenen Erfahrung sprechen kann, sind diese Tipps vielleicht nicht immer hilfreich. Aber wenn ich zurückdenke an meine Mobbingzeit, dann wünsche ich mir, ich hätte damals jemanden gehabt, der ein sicherer Hafen für mich gewesen wäre.

Mobbing verjährt nicht!

Mobbing ist real. Mobbing ist kein Kavaliersdelikt. Mobbing zerstört Menschen. Mobbing ist etwas, wogegen wir kämpfen sollten – jeden einzelnen Tag. Kein leichter Kampf, aber jedes „gerettete“ Mobbingopfer ist ein kleiner Sieg. Egal, ob Du selbst gemobbt wurdest oder gemobbt hast: Mach Dich stark für andere, schreite wenn möglich ein, kläre auf. Setze Dich für diejenigen ein, die es selbst (noch) nicht schaffen. Stelle Dich gegen Mobbing – denn Mobbing verjährt nicht!

Dieser Beitrag ist Teil 30 von 30 aus der Serie: Backstage | Zeige alle Teile

Teil 1: Neue Artikel-Kategorie: „Backstage“

Teil 2: Backstage: Wie viel Glück kann ein Mensch haben?

Teil 3: Backstage: Einmal und nie wieder!

Teil 4: Backstage: Warum mein Herz für Hamburg schlägt

Teil 5: Backstage: Shoppingwahn am Vor-Welttag des Buches

Teil 6: Backstage: Hamburger Nächte

Teil 7: Backstage: Draußen lesen

Teil 8: Backstage: Wenn Bedeutung unter die Haut geht …

Teil 9: Backstage: A Question Of Lust – oder nicht?

Teil 10: Backstage: … Sonntagsgedanken …

Teil 11: Backstage: Jetzt beginnt mein (Lese)Wochenende …

Teil 12: Backstage: Gehaime vor- und nachwhainachtliche Überraschungspost

Teil 13: Backstage: Manchmal gibt’s so Momente …

Teil 14: Backstage: Eine Zugfahrt, die ist lustig …

Teil 15: Backstage: … durch Raum und Zeit und Worte …

Teil 16: Backstage: Interessante Jobangebote im richtigen Moment

Teil 17: Backstage: Wenn Schweigen zur Gewohnheit wird …

Teil 18: Backstage: Wenn eine gemeinsame Reise zu früh endet …

Teil 19: Backstage: „Ich muss mich leider über Dich beschweren.“

Teil 20: Backstage: Wenn Bedeutung unter die Haut geht (Teil 2)

Teil 21: Backstage: Wenn Alpträume nicht nur den Schlaf rauben.

Teil 22: Backstage: Der etwas andere Liebesbrief

Teil 23: Backstage: Warum Schwäche auch eine Stärke sein kann

Teil 24: Backstage: Somewhere over the rainbow

Teil 25: Backstage: Hi, my name is Chase!

Teil 26: Backstage: Wenn Bedeutung unter die Haut geht (Teil 3)

Teil 27: Backstage: Warum ich dieses Mal nicht am #litnetzwerk teilnehme

Teil 28: Backstage: Wenn Bedeutung unter die Haut geht (Teil 4)

Teil 29: Backstage: Sechs Monate, ein Jahr und zwei Leben

Teil 30: Backstage: #MobbingVerjährtNicht


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