Gefühlte Nähe (Harald Martenstein)


C. Bertelsmann, 1. Auflage September 2010
HC mit SU, 224 Seiten
€ 19,99 [D] | € 20,60 [A] | CHF 33,90
ISBN: 978-3-570-10006-6
Leseprobe

Genre: Belletristik


Klappentext:

Harald Martensteins neuer Roman besticht durch eine genaue Beobachtung des Paarungsverhaltens im ausgehenden 20. Jahrhundert. An ihrem Liebesleben und Lebenslauf reiht Harald Martenstein die unterschiedlichen Männer wie Verhältnisse auf.

»Gefühlte Nähe« ist die Vermessung der Tiefen und Untiefen des uns bekannten Beziehungskosmos.

Innerer Klappentext:

Harald Martenstein erzählt in »Gefühlte Nähe« von den Lieben und den Liebhabern einer Frau, von verschiedenen Spielarten der Zuneigung, vom Wunsch nach Nähe und Distanz, von der ganzen Bandbreite der Gefühle.

N. ist, als wir sie kennenlernen, eine Schülerin, die für ihren Lehrer schwärmt. Sie ist eigensinnig und ambitioniert, macht ihren Weg in der Welt der Medien. Hilft es ihr, dass sie auch schön ist, wird sie glücklicher, weil sie klug ist?

N. ist auf der Suche, hat romantische Liebschaften, auch sie träumt davon, einmal vor dem Haus am See zu sitzen. Aber sie lässt sich nie so einfach einbinden in eine Beziehung, da wird es ihr schnell zu eng. Dieser Eigensinn hat seinen Preis, bietet N. aber auch die Chance, weiter nach dem Richtigen zu suchen.

Dabei lernen wir diese Frau durch die Augen der 23 Männer ihres Lebens kennen, die großspurig, skrupellos, sensibel, nachtragend, manchmal auch liebevoll und großherzig sind. Die Geschichten und Situationen ergänzen sich, zeigen Verhaltensmuster, sind komisch oder herzzerreißend, ergeben eine Sittengeschichte im Privaten – aber sie sind vor allem eins: genau beobachtet.


Rezension:

Er schrieb, dass Liebe nicht bedeute, die Einsamkeit zu überwinden, in der jeder Mensch nun einmal rettungslos eingesperrt sei, sondern diese Einsamkeit zu teilen. Zu zweit einsam zu sein, das auszuhalten, ohne sich Illusionen zu machen und ohne Angst zu bekommen, sei das höchstmögliche Glück.
(Kapitel 2, Seite 27)

Harald Martensteins Protagonistin N. ist bereits als Jugendliche gewieft – für ihren Lehrer schwärmend schafft sie es auf einer Klassenfahrt, ihn in eine prekäre Situation zu bringen, die ihn letztendlich seinen Job kostet. Mit dieser Geschichte der damals 16-Jährigen beginnt der Etappen-Roman, in welchem der Leser N. mit jedem Kapitel ein wenig besser kennen lernt, immer aus einer anderen Sichtweise, immer von einer anderen Seite, aber doch immer irgendwie gleich. Man erkennt die Protagonistin an ihren Handlungen und an der Auswahl ihrer Männer, die sich bis ins hohe Alter gleichen – nicht nur die Herren selbst, sondern auch die Gelegenheiten, bei denen sie diese kennen lernt, wie sie diese mitunter gegeneinander ausspielt, sie nebeneinander herlaufen lässt und es dabei trotzdem schafft, immer ihr Gesicht zu wahren. Die Geschichte N.s ist die anonyme Erzählung von einer Frau, die ihr ganzes Leben auf der Suche nach der großen, der einzig wahren Liebe ist, sich dabei aber selbst im Weg steht. Mit hohen Ansprüchen, von denen sie niemals abzuweichen scheint, ist sie nie mit dem aktuellen Liebhaber an ihrer Seite zufrieden, stets scheint sie die Augen offen zu halten und sich nach etwas Besserem, etwas Erfüllenderem umzuschauen. Wie sehr sie dabei die Männer verletzt, die ihr ernsthafte Gefühle entgegen bringen, übersieht sie mit nahezu perfekter Eleganz und Durchhaltevermögen. Teilweise wird der Leser den Eindruck nicht los, als wären die Männer ihr vollkommen gleichgültig.

Während der 23 in etwa gleich langen Kapitel kommt die Protagonistin nicht einmal zu Wort, es sind ausschließlich die Männer in ihrem Leben, die erzählen. Durch die verschiedenen Charaktere, auf die N. trifft, kommen auch unterschiedliche Bilder und Eindrücke zustande; Der Leser erhält hier ein wahnsinnig vielseitiges Bild der Frau, um die sich für die erzählenden Männer – zumindest teilweise – die ganze Welt dreht. N. selbst wirkt hierbei immer ruhelos, immer auf der Suche, niemals lange ausharrend, immer schon den nächsten Mann im Anschlag – keiner scheint gut oder interessant genug zu sein, um sie lange halten zu können. Dass hierbei niemals klar ihr Alter genannt wird, auch zu Beginn des Romans nicht, macht es etwas schwierig, einen zeitlichen Bogen schlagen zu können. Sicher ist nur, dass die 23 Männer ihre Geschichten in chronologischer Reihenfolge erzählen und sich teilweise zeitlich überschneiden, was einen eigenen Eindruck und bleibenden Nachgeschmack beim Leser hinterlässt.

N. hat ihre sympathischen Momente, doch größtenteils scheint sie vom Leben verwöhnt zu sein, und das trotz des eigenen Scheiterns in verschiedenen Bereichen des Lebens. Seite für Seite ihren scheinbar standardisierten Umgang mit der männlichen Spezies mitzuerleben lässt den Leser schmunzeln, aber auch mit dem Kopf schütteln – nicht nur über N., sondern auch über die teilweise unglaubliche Naivität der Männer. Doch auch unter ihren „Gegenspielern“ findet N. ebenbürtige Charaktere, sie merkt es nur nicht. Umso schöner ist es für den Leser, dass N. an der einen oder anderen Stelle auch mal einen Dämpfer verpasst bekommt, auch wenn sie nicht im Stande ist, diesen als solchen zu erkennen.

Sprachlich sehr einfach, aber mit der offensichtlichen Begabung zum Schreiben schafft Martenstein das Bild einer Frau, der das größte Glück im Leben versagt zu bleiben scheint. Der Leser bleibt zwiegespalten zurück: Kann es denn wirklich nur an ihrer Art mit Männern umzugehen liegen? Ist das, was N. passiert, das sogenannte Karma? In jedem Fall nimmt man sich selbst auf eine andere Art wahr, reflektiert sein eigenes Verhalten seinen Mitmenschen gegenüber und nimmt sich zumindest fest vor, niemals so enden zu wollen wie N. – seltsam gescheitert, obwohl so vieles im Leben erreicht wurde.


Fazit:

Gefühlte Nähe ist ein Roman der besonderen Art, da er keine fortlaufende Geschichte erzählt, aber trotzdem alle Kapitel zusammenhängen. Vereinzelte Überschneidungen gestalten die Begegnungen interessant und abwechslungsreich, schaffen dabei doch eine Zusammengehörigkeit, die ihresgleichen sucht, und runden das Gesamtbild ab. Ein ruhiger Etappen-Roman, der hinter die Kulissen schaut, ohne die Protagonistin selbst zu Wort kommen zu lassen.


Wertung:

Handlung: 3,5/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 3,5/5
Preis/Leistung: 3,5/5


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