Wollt ihr die Lüge oder die Wahrheit?

Facebook-Follower haben wahrscheinlich schon sehnsüchtig auf diesen Artikel gewartet, immerhin hatte ich ihnen bereits am Dienstagabend einen kleinen Knochen hingeworfen. Und heute Morgen stellte ich dann ganz unschuldig die Frage, die auch die Überschrift dieses Artikels darstellt.

truthliesDienstagabend saß ich wieder einmal nichtsahnend auf dem Weg von meiner Museumsschicht nach Hause in der S-Bahn, dachte mir nichts Böses und war in mein Buch vertieft, als plötzlich ein junger Farbiger (diese Info ist keine Wertung, sondern wichtig für die Pointe am Ende dieses Artikels) einstieg und lautstark zu reden anfing – ich ahnte schon, was kommen würde. Ist in Hamburg nichts Außergewöhnliches, hier laufen öfter Menschen durch die Bahn und bitten um eine kleine Spende. Doch dieser Typ war irgendwie besonders, sodass ich später nicht nur mit einem Lachen umstieg, sondern mich auch heute noch gut an diese Situation erinnere und gerne daran zurückdenke. Denn sie hat meinen Dienstagabend so erhellt, wie kaum etwas anderes es geschafft hätte.

Er stieg also ein und wünschte den Fahrgästen einen guten Abend. Die reagierten wie gewöhnlich mit Wegschauen und Ignoranz, auch ich vergrub mich etwas tiefer in den Kragen meines Mantels, weil mir an diesem Abend einfach nicht nach einer guten Tat zumute war.
Doch schon seine nächste Frage macht schnell klar, dass es sich hierbei nicht um eine gewöhnliche „Bettlertour“ handelte – er fragte uns, ob wir lieber die Lüge oder lieber die Wahrheit hören wollen.

Allen standen erstmal Fragezeichen über den Köpfen, mein Sitznachbar forderte dann schließlich rigoros die Lüge. Und so fing der junge Typ an, uns zu erzählen, wie schlecht es ihm ginge, dass er Hunger und Durst, aber keinen Schlafplatz hätte. Die üblichen Dinge eben, die man so von den Leuten hört – mal ganz wertfrei, ob sie wahr oder unwahr sind.

Er unterbrach sich selbst und meinte, das wäre die Lüge gewesen, und jetzt wolle er uns die Wahrheit sagen. Er habe ein gutes Leben, ein Dach über dem Kopf, hätte wunderbar zu Abend gegessen und auch getrunken. Aber: Zum perfekten Glück würde ihm noch eine Handvoll Kleingeld fehlen, denn er wolle am Abend, ganz entspannt und gemütlich auf der Couch in seinem warmen Wohnzimmer, einen durchziehen.

Ja, ihr lest richtig. Er bat uns um Geld für Gras, um sich die Birne leer zu kiffen. Und hatte die Lacher auf seiner Seite. Aber damit nicht genug, er hat uns das richtig gut verkauft. Zog eine sogenannte Karmabox aus der Tasche und berichtete von ihrem langen Weg durch verschiedene (einschlägige) Stadtteile Berlins, bis sie schließlich bei ihm gelandet war. Und in dieser Box sammelte er das Kleingeld, das ihm später am Abend einen kleinen berauschenden Segen bescheren sollte.

Was soll ich sagen? Die Masche zog. Mehr Leute als gewöhnlich zückten ihre Geldbörsen oder kramten in Hosen- und Jackentaschen nach ein paar Münzen. Ich selbst habe ihm nichts gegeben, weil mir wie gesagt an dem Abend nicht nach einer guten Tat war. Aber ich fühlte mich gut unterhalten und hätte ihm wohl zu einem anderen Zeitpunkt durchaus die fehlende Summe zu seinem Glück zugesteckt.

Abgerundet hat er die ganze Show mit einem Spruch, der mich bis zum Aussteigen lachen ließ – ich zitiere wortwörtlich: „Wenn die Menschen lieber angelogen werden möchten statt die Wahrheit zu hören, dann sehe ich – und verzeihen Sie mir diese Aussage – schwarz für die Zukunft dieser Welt.“

Herrlich. Ich fand den jungen Mann überaus sympathisch und erheiternd. Gerne mehr davon.
Womit ich gar nicht abwerten oder runterspielen will, dass es viel zu viele Menschen gibt, die tatsächlich auf derartige Spenden angewiesen sind, um irgendwie zu überleben. Ganz sicher nicht. Und möglicherweise ist es nicht fair, dieses Leid durch solche Aktionen runterzuziehen. Ich will sicherlich auch keine Drogen gutheißen.

Und doch – warum denn nicht mit einem Lächeln durchs Leben gehen anstatt immer nur vom Ernst desselben gebeugt zu werden?


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eine Kommentar
  1. Cynder sagt:

    Das ist ja mal ne Geschichte! :O
    Sehr interessant, keine Frage ^^
    Ich selbst weiß nicht, ob ich ihm Geld gegeben hätte, denn auch wenn ich das was ich von Marihuana gehört habe nicht so schlimm finde, bin ich doch jemand, der von Drogen generell nix hält. Aber die Idee, die er hatte, ist definitiv originell.
    LG, Cynder

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